Ich ahnte schon Böses, als ich mein Gegenüber auf der anderen Seite der Tischtennisplatte erblickte: Armin K. vom TTC Steinfurth – bekannt als zäher Tischtennisspieler, der nie einen Ball verloren gibt. Und: Gesegnet mit einer unendlichen Geduld und einer nie nachlassenden Kondition. Und ich, selbst Abwehrspieler, schon etwas in die Jahre gekommen und deshalb nicht in der Lage, meinen Gegner über einen starken Angriff zu bezwingen.
Was tun in einer solchen Situation? Aufgeben? Geht nicht. Angreifen? Ist nicht meine Stärke. Also spielen Armin K. und ich uns den Ball immer und immer wieder zu, hin und her, her und hin… Und hoffen dabei auf einen Fehler des Gegners. Es folgen endlose Ballwechsel, die die Augen, die Halsmuskulatur und das Konzentrationsvermögen unseres Schiedsrichters überfordern. Kaum machte einer von uns einen Fehler und so kam es, wie es kommen musste: Zeitspiel wurde angesagt.
Zeitspiel? Gibt es ein Zeitlimit beim Tischtennisspielen? Dann, wenn es nach Mitternacht wird? Oder wenn der Schiedsrichter eingeschlafen ist? Ja – die Regel „Zeitspiel“ gibt es wirklich. Sie wird eingesetzt, sobald ein Satz länger als zehn Minuten dauert und gilt dann für das gesamte weitere Spiel. Im Zeitspiel wechselt das Aufschlagsrecht nach jedem beendeten Ballwechsel. Gelingt es dabei dem rückschlagenden Spieler 13-mal erfolgreich den Ball zurückzuspielen, dann bekommt er den Punkt. Natürlich können beide Spieler auch schon vorher punkten. Wegen des Wechsels des Aufschlagsrechtes wird diese Regel auch „Wechselmethode“ genannt.
Das Zeitspiel gibt es schon seit 1937. Zuvor – nämlich bei der Tischtennisweltmeisterschaft 1936 in Prag traten die Spieler Ehrlich und Paneth gegeneinander an. Beides Abwehrspieler. Jedenfalls dauerte der erste Ballwechsel geschlagene zwei Stunden und zwölf Minuten. Dabei sollen, der Sage nach, zehn Schiedsrichter ausgewechselt worden sein, der Spieler Ehrlich ein paar Würstchen mit Brötchen und Senf gegessen und nebenbei noch Schach gespielt haben. Ein weiterer Höhepunkt bei dieser Weltmeisterschaft war das Spiel Goldberger gegen Haguenauer. Dies wurde nach sieben Stunden und 30 Minuten abgebrochen und per Los entschieden. Nach dieser WM war es den Funktionären klar, dass es so nicht weiter gehen konnte und es wurde eine Zeitbeschränkung eingeführt. Diese betrug anfänglich 60 Minuten bei zwei Gewinnsätzen und 105 Minuten bei drei Gewinnsätzen. Wurde die Zeit überschritten, gab es keinen Sieger. Das führte dazu, dass es bei der WM 1937 bei der Dameneinzelkonkurrenz keine Siegerin gab.
Skurrile Entscheidungen prägten die weitere Entwicklung des Zeitspiels. So konnten die beiden Kontrahenten für zwei Jahre von allen Wettbewerben gesperrt werden, wenn sie im Entscheidungssatz beim Zeitspiel für einen Ballwechsel mehr als fünf Minuten brauchten. Mir ist nicht bekannt, ob diese Regel je zu Anwendung kam. Die heutige Regelung wurde 1966 eingeführt und wurde nur im Rahmen der Satzreduzierung auf elf Siegpunkte modifiziert.
Zurück zu unserem Spiel, Armin K. gegen mich. Es war soweit. Zeitspiel gegen Armin. Ein fast aussichtloses Unterfangen. Taktische Überlegungen gingen durch meinen Kopf: Beim eigenen Aufschlagsrecht zügig angreifen oder abwarten und auf einen Fehler des Gegners hoffen? Dabei aber ja keinen eigenen Fehler machen. Reine Nervensache. Zuerst wurde ein weiterer Spieler gebeten, die Rückschläge laut mitzuzählen. Und dann ging das Zeitspiel los. Monoton zählte der Zweitschiedsrichter die Bälle sieben…acht…neun… Interessanterweise ging es jetzt viel schneller, jedenfalls musste nur einmal bis 13 gezählt werden und Armin bekam den Punkt zugesprochen. Am Ende war ich der Glückliche in einer denkwürdigen Begegnung. Aber nicht der Einzige. Auch unser bedauernswerter Schiedsrichter ging erleichtert von der Platte und dankte den Tischtennisgöttern für die Einführung des Zeitspiels. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass Armin und ich uns kurze Zeit später wieder gegenüberstanden, diesmal mit dem besseren Ende für Armin und das ohne Zeitspiel.
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